Donnerstag, August 25, 2005

BVerfG segnet Neuwahl ab


7:1. Weiterentwicklung der Entscheidung aus 1983 (E 62, 1) unter Berücksichtigung der Rspr. beider Senate zur Reichweite von Einschätzungsprärogativen.

(Ri'inBVerfG Osterloh saß übrigens nicht auf der Richterbank.)

Hauptaspekte der Begründung / zur Kontrolldichte:
- Handlungsfähigkeit (subjektiv und objektiv)
- Ausrichtung des GG auf Herstellung stabiler Mehrheiten
- "Auf Auflösung gerichtete Vertrauensfrage ist ... gerechtfertigt, wenn sie der Wiederherstellung einer stabilen Mehrheit dient."
- Eingeschränkter Prüfungsmaßstab (zweckdienliche Anwendung des Art. 68 GG)

Zitate sind sinngemäß, aber um möglichst genauen Wortlaut bemüht.

Live-Blawging bei jurabilis:
"Die Einschätzungsprärogative des Bundeskanzlers darf nicht durch das Erfordernis eines sicheren Beweises beschränkt werden - das hieße, das Gleichgewicht zwischen Bindung an Recht und Gesetz und Regierbarkeit einseitig zulasten der Regierbarkeit zu verschieben."
Das BVerfG muss den grundgesetzlich garantierten Raum freier und politischer Gestaltungsfreiheit belassen und ist Kontrollinstanz. [...] Das Grundgesetz vertraut ... auf das in Art. 68 GG angelegte System des politischen Kontrolle.
Fehlt es an Anhaltspunkten für Vertrauensverlust, gibt es keine Entscheidungsprärogative des BK. Es gibt keinen Strengbeweis, ausreichend ist die Plausibilität des Verlusts der Mehrheit. BVerfG darf sich Erkenntnissen aus parlamentarischen Entwicklungen nach Antragstellung nach Art. 68 GG nicht verschließen.
"Die Ankündigung des Kanzlers ... kann diejenige politische Lage gravierend verändern, die Rechtfertigung des Antrags war. Sie kann die Reihen schließen und Abweichler disziplinieren."
Der Senat bestätigt den Maßstab der Entscheidung aus 1983 (E 62, 1). Entscheidend sei, dass keine andere vorzugswürdige Entscheidung erkennbar war.

Kurzschema:
1. Einschätzung des Kanzlers

2. politische Gesamtlage

3. keine widersprechenden Tatsachen
zu 2.: Der Widerstand gegen die Agenda 2010 ist eine allgemein zugängliche Tatsache.

zu 3.: "Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kanzler ein dem Zweck des Art. 68 GG widersprechendes Plebiszit anstrebt."
"Die Einschätzung des Kanzlers wird nicht dadurch widerlegt, dass er ergänzend auf die Verhältnisse im Bundesrat abstellt."
"Die Einschätzung des Kanzlers wird auch nicht dadurch widerlegt, dass ... Müntefering davon gesprochen hat, dass der Kanzler das Vertrauen der SPD-Fraktion besitze."
keine Tatsache iSv. 3.: dass umfangreiche, umstrittene Gesetzesvorhaben kurz zuvor verabschiedet worden sind. Kein Gesetzgebungsvorhaben auf der Tagesordnung, das eine Abkehr des BK von seiner Linie hätte bewertet werden können.

Gesetzesvorhaben am Vortag: Düngemittel, Kyotoprotokoll, Förderung der öffentlich-privaten Partnerschaften - Arbeitnehmerfreizügigkeit dagegen abgesetzt.
Die Einschätzung, dadurch sollte Anschein der Mehrheit verhindert werden, ist nicht eindeutig. Änderung des Entsendegesetzes KEIN TEST für die Verlässlichkeit der Mehrheit.

Zum Abschluss noch ein Sahnehäubchen aus dem Munde von Gertrude "Sondervotum" Lübbe-Wolff:
"Ein Tatbestandsmerkmal, das sich auf Verdecktes und Verborgenes bezieht, führt nur eine rechtliche Schattenexistenz."

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