Sonntag, April 25, 2004

Dr. habil. Hoffnungslos

Rainer Kolk nennt sich Privatdozent. Diesen sehr deutschen Titel erwirbt, wer nach 4 Jahren Grundschule, 9 Jahren Gymnasium, 7 Jahren Studium, 5 Jahren Promotion noch rund 7 weitere Jahre in die Lehre geht und am Ende ein dickes Buch abgibt: die Habilitation. Dann ist man im Schnitt 40 Jahre alt, hat den Gipfel akademischer Rangbezeichnungen erklommen - und steht kurz vor dem Nichts.

Die Alma mater ist eine Rabenmutter. Sie hat zu viele Kinder geboren und großgezogen, und die meisten hat sie vernachlässigt. Bis ins hohe Alter läßt sie den Nachwuchs im Nest hocken und macht ihm Hoffnungen, dann wirft sie ihn auf die Straße. Damit ist die junge Gelehrtengeneration in eine Abhängigkeit geraten, die selbst nach der letzten Reifeprüfung, der Habilitation, anhält. Denn wer außer der Universität will einen Rainer Kolk noch nehmen? Einen 43jährigen hochspezialisierten Geisteswissenschaftler, einen Meister seines Fachs, bar jeder praktischen Erfahrung? Die Professur ist das Ziel eines jeden Privatdozenten. Der einzig mögliche Arbeitsplatz. Drum muß er warten, bis ihn der "Ruf" einer deutschen Universität ereilt.
Diesen Artikel in der "Zeit" verfasste Martin Spiewak schon 1998, aktueller könnte die Analyse des Wissenschaftsbetriebs auch in Zeiten aufkommender Juniorprofessuren kaum sein ...

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